„Min Lütten“ – Die deutsche Kunst, aus Blutgold Denkmäler zu machen

Karle Horn - http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Villa_Goering_Sylt.jpg (Scan aus geerbtem Fotoalbum)
Görings Villa auf Sylt – Foto von Karle Horn via Wikipedia
Willkommen im Museum der Verdrängung

Sylt – die Insel, auf der sich die deutsche Elite traditionell die Sonne auf den Pelz brennen lässt, ist dieser Tage nicht nur für Champagner und Reetdachvillen bekannt. Nein, jüngst machte Sylt vor allem Schlagzeilen als Kulisse für rechte Party 1 : Wo früher die High Society „L’amour toujours“ als Soundtrack für Sonnenuntergänge feierte, grölen heute junge Feiernde in viralen Videos rassistische Parolen wie „Ausländer sind cool, Deutschland den Kartoffeln [sic!!!! – ich werde hier Nazi-Schyce nicht reproduzieren! Aber ihr wisst, was wirklich zu hören war]“ zur Melodie des Italo-Hits – und das nicht zum ersten Mal, sondern mittlerweile mit so viel Routine, dass bundesweit über 360 Polizeieinsätze nötig waren

Während die einen noch debattieren, ob ein Hitlergruß auf der Bar-Terrasse 2 mehr als ein „No-Go“ ist, wird ein paar Dünen weiter das ehemalige Ferienhaus von Hermann Göring 3 – Nazi-Bonze, Kriegsverbrecher, Symbolfigur des deutschen Vernichtungswillens – als „Inseljuwel“ für einen zweistelligen Millionenbetrag vermarktet.

Klingt absurd? Willkommen in Deutschland, wo selbst die dunkelsten Kapitel der Vergangenheit zur Kapitalanlage werden. Es ist ein Mahnmal für die Maßlosigkeit und Geschichtsvergessenheit einer Oberschicht, die sich alles leisten kann – sogar die eigene Vergangenheit.

Die perfekte Kulisse für moralische Insolvenz

Hier, wo einst Emmy Göring den Bau beauftragte, wo die Luft nach Macht und Menschenverachtung roch, wird heute mit „historischer Substanz“ geworben. Das Parkett wurde restauriert, der Kamin nachgebaut – als könne man mit ein bisschen Handwerkskunst und einer Wärmepumpe die Spuren des Grauens einfach wegpolieren. Die Vergangenheit? Ein hübsches Verkaufsargument, das sich bestens in Hochglanzbroschüren macht.

Man stelle sich vor, das Haus wäre eine Villa aus der DDR-Nomenklatura oder ein Palast eines anderen Unrechtsregimes. Gäbe es dann auch so viel Begeisterung? Oder ist es nur der deutsche Hang, alles zu monetarisieren, was nicht bei drei auf den Bäumen ist – selbst die eigene Schuld?

Kapitalismus als Gedächtnislücke

Die eigentliche Sensation ist nicht, dass dieses Haus existiert, sondern dass es überhaupt potentielle Käufer gibt. Menschen, die ernsthaft glauben, ein paar Millionen Euro könnten die Geschichte neutralisieren. Die sich einbilden, mit dem Kauf eines Nazi-Anwesens ein „Inseljuwel“ zu erwerben, statt ein Symbol für die industrielle Menschenvernichtung. Wer so etwas kauft, kauft nicht nur Stein und Reet, sondern auch eine Portion Ignoranz und eine Prise Zynismus gleich mit.

Man könnte fast meinen, das deutsche Immobilienrecht wurde extra dafür erfunden, die Vergangenheit zu verschachern. Während anderswo Täterorte zu Gedenkstätten werden, verwandelt man sie hier in Luxusobjekte. Die Botschaft: Wer genug zahlt, darf Geschichte besitzen – und sie nach Belieben umdeuten.

Die moralische Bankrotterklärung als Geschäftsmodell

Es wäre ja zu schön, würde wenigstens ein Teil des Kaufpreises in Aufarbeitung oder Gedenkkultur fließen. Aber nein: Hier zählt nur der Quadratmeterpreis, nicht der Wert der Erinnerung. Die Makler feiern den Meerblick, die Käufer das Prestige – und alle gemeinsam hoffen, dass niemand zu genau nachfragt, wessen Geist hier eigentlich noch durch die Flure spukt.

Natürlich könnte man – rein hypothetisch, im allerhöchsten Konjunktiv – fragen, ob es nicht ehrlicher wäre, solche Orte dem Erdboden gleichzumachen, statt sie zu Luxusvillen zu verklären. Aber das wäre ja schlecht fürs Geschäft. Und in Deutschland gilt: Die Vergangenheit ist nur so schwer, wie sie den Immobilienwert drückt.

Fazit: Wer Geschichte kauft, verdient keine Zukunft

„Min Lütten“ ist kein Haus. Es ist ein Spiegelbild der deutschen Gesellschaft: bereit, alles zu verdrängen, solange der Preis stimmt. Wer hier einzieht, wohnt nicht im Luxus, sondern im Schatten der Geschichte – und demonstriert, dass Maßlosigkeit und Geschichtsvergessenheit in Deutschland immer noch bestens zusammenpassen.

Das Haus trägt den liebevollen Namen „Min Lütten“ – Plattdeutsch für „Mein Kleiner“ – ein Kosename, den die Görings dem Anwesen gaben. Ein „kleines“ Refugium für eine Familie, die für Millionen Menschen unermessliches Leid brachte. Wie zynisch, dass ausgerechnet dieses „Nest“ der Macht und Verbrechen heute als charmantes „Inseljuwel“ verkauft wird, als wäre es ein harmloses Familienidyll und nicht der Rückzugsort eines der grausamsten Täter der Geschichte. „Mein Kleiner“ – ein Name, der wie ein bitterer Hohn auf die Opfer wirkt, deren Leben durch diesen Mann zerstört wurden. So viel Verdrängung und Verharmlosung passen nur auf eine Insel, auf der man offenbar auch rechte Parolen zum Soundtrack erhebt.

Wer da noch fragt, wie sich die Ereignisse decken, hat das Prinzip Sylt nicht verstanden: Hier verschmelzen Geschichtsvergessenheit und Maßlosigkeit zu einer neuen deutschen Leitkultur. Während auf der einen Seite rechte Parolen zum Partysoundtrack werden, wird auf der anderen Seite die Täterarchitektur der NS-Elite zum Luxusobjekt für die, die sich alles leisten können – sogar die eigene Vergangenheit. Das Göring-Haus ist damit nicht nur ein Denkmal der Maßlosigkeit, sondern auch der zynischen Kontinuität: Wer heute auf Sylt kauft, kauft nicht nur Meerblick, sondern ein Stück deutscher Verdrängungskunst gleich mit.

Und übrigens – die ganzen Strafverfahren, die es wegen des Sylt Videos gab… wurden einstellt.4
Noch fragen?

BREAKING: laut Youtube Kanal von Sotherbys 5 ist das Haus inzwischen verkauft!
Als ich den Artikel gestern begonnen habe, war das noch nicht der Fall. Daher „brandaktuell“
Der/Die Käufer*innen werden sich wohl bedeckt halten… wie immer bei den Reichen und Ekelhaften

(Keine Anleitung, sondern Abrechnung)

  1. https://www.tagesschau.de/inland/polizei-einsaetze-amour-toujors-ns-parolen-100.html ↩︎
  2. https://www.zdfheute.de/politik/deutschland/sylt-rassistische-gesaenge-lamour-toujours-ermittlungen-100.html ↩︎
  3. https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Goering-Villa-auf-Sylt-steht-zum-Verkauf-fuer-Millionen,regionflensburgnews2786.html ↩︎
  4. https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/staatsanwaltschaft-sieht-keine-volksverhetzung-in-sylt-fall ↩︎
  5. https://www.youtube.com/watch?v=pclPLhW9tmI ↩︎
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