Wenn ich in den Garten gucke, sehe ich direkt live und in Farbe das Artensterben überall um mich herum, und zwar in Form des Biodiversitätskollaps und auch des Rückgangs der Insektenbiomasse am Beispiel der Schmetterlinge. Die Zahl der Schmetterlinge ist insgesamt in den letzten 45 Jahren (viel weiter kann ich mich nicht zurückerinnern, bin 50) deutlich zurückgegangen, und man sieht auch viel weniger unterschiedliche Spezies.
Ein Beispiel: Der Kleine Fuchs war früher häufig wie sonst irgendwas, vom Kleinen Tagpfauenauge sah man hingegen recht wenig. Heute ist der Kleine Fuchs schon am Aussterben, wenn nicht irgendwie eine drastische Trendumkehr kommt, und das Tagpfauenauge ist ein relativ häufiger Schmetterling, obwohl es auch davon nicht wirklich mehr gibt als früher, die Art scheint nur ökologisch robuster zu sein.
Ich sehe auch einen Rückgang der Fluginsekten beim Fahrradfahren:
Ich verschlucke von Jahr zu Jahr immer weniger Insekten.
Früher habe ich im Sommer fast jeden Tag 2-3 Insekten verschluckt, heute verschlucke ich vielleicht 5-6 im ganzen Sommer, und das nicht, weil ich weniger mit dem Rad unterwegs wäre; das Fahrrad ist seit meiner Kindheit mein Hauptverkehrsmittel, und ich bin zudem Automobilismusverweigerer, habe keinen Führerschein, nie eine Fahrschule von innen gesehen.
Ich fürchte, daß wir sehr bald an den Punkt kommen werden, wo dieser Planet ziemlich schlagartig nur noch eine Kopfzahl von Menschen ernähren können wird, welche drastisch unter der jetzigen Weltbevölkerung liegt.
Wenn wir ein massenhaftes Verhungern verhindern wollen, müssen wir zusehen, wie man aus Mikroorganismen, die sich leicht in Tanks züchten lassen, halbwegs erträgliche Menschennahrung macht.
Soylent Green spielte 2022, weil das damals 50 Jahre in der Zukunft lag, vermutlich lag der Film so etwa 10-25 Jahre zu früh, aber der ganze Scheiß mit Treibhausklima und umgekippter Biosphäre ist in dem Film schon sehr gut drin, das ist genau das, was jetzt über uns drüberrollt.
Ich mein ja echt mal, Hollywood ey, die kapitalistische Traumfabrik überhaupt, hat über das letzte halbe Jahrhundert hinweg immer wieder sehr deutliche dystopische kapitalistische Alpträume hervorgebracht, denn der Kapitalismus verkauft auch die Warnung vor sich selbst, wenn’s Geld bringt.
Jeder Mensch im mittleren Alter hat wenigstens durch kulturelle Osmose etwas mitbekommen von Soylent Green und Blade Runner und Mad Max und die Jugger und so weiter und so fort, der Club of Rome und die Grenzen des Wachstums. Ich habe es schon alles mitbekommen, als ich ganz klein war, und im Gegensatz zu meiner Umgebung habe ich es sofort begriffen.
Dieser verdammte toxische Optimismus!
Meine Fresse, als ich klein war, hätten wir noch eine wirkliche Chance gehabt, ein halbwegs technologisch komplexes Zeitalter um etliche Jahrhunderte zu verlängern in seiner Lebensdauer, aber wir hätten unsere gesamte Weltwirtschaft radikal umstellen müssen, und das gleich zweimal, im Osten und im Westen. Jetzt sind wir an dem Punkt, wo der Niedergang der Zivilisation längst unvermeidlich ist und eine noch viel radikalere Umstellung nur noch mit sehr viel Glück ausreicht, um ein menschliches Massensterben zu verhindern und den Totalkollaps der Zivilisation zu einem langsamen Niedergang über mehrere Jahrhunderte hinweg auszudehnen.
Was wir brauchen, ist keine noch im Experimentalstadium befindliche Technologie, die dann plötzlich all unsere Probleme löst, mit noch mehr Energie und noch mehr Produktion und Konsum und mehr Geld für alle und blablabla.
Was wir brauchen, ist eine völlig andere Art und Weise zu leben.
Wir müssen uns wieder bewußtmachen, dass wir immer noch Tiere sind und immer sein werden, und dass das Land uns nicht gehört, sondern daß wir Teil des Landes sind, wo immer wir wohnen mögen, daß wir ebenso Teil des örtlichen Ökosystems sind wie alles, was dort sonst noch lebt, von den Bakterien und Milben und Würmern im Boden und den Käfern und Raupen auf den Pflanzen bis hin zu den Vögeln und Füchsen und Mardern und was da sonst noch so lebt.
Unsere Zivilisation ist gefährlich, weil sie die Illusion schafft, irgendwie außerhalb der Natur zu stehen, und die Natur zeigt uns immer brutaler, daß dem nicht so ist.
Redaktionelle Anmerkung: Die Wiedergabe dieses Textes als Gastbeitrag erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Lord Caramac.
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