
Liebe Freund*innen der gepflegten Semantik und all jener, die noch wissen, dass 2+2=4 und nicht „die umstrittene Summe 4, deren Richtigkeit von manchen Kreisen angezweifelt wird“: Es ist an der Zeit, über ein Wort zu sprechen, das eine bemerkenswerte und zutiefst verstörende Karriere hingelegt hat. Die Rede ist vom Adjektiv „umstritten“.
Einst ein nützliches Werkzeug, um tatsächlich kontroverse Themen zu beschreiben – sagen wir, die umstrittene These zur Entstehung des Universums oder die umstrittene Steuerreform – hat es sich in den letzten Jahren zu einem verbalen Wattebausch entwickelt, mit dem man jede unbequeme Realität weichspülen kann. Der Grund? Ach, der ist so offensichtlich, dass er beinahe selbst schon wieder… nun ja, umstritten ist: Es geht darum, juristischen Ärger zu vermeiden und sich bloß nicht festzulegen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, wenn man die Wahrheit einfach in den Mantel des „Ist halt Ansichtssache“ hüllt.
Nehmen wir mal an – ganz ohne an Milliardäre zu denken: Jemand hebt die Hand zum Hitlergruß. Früher nannte man diesen Menschen – und jetzt halt dich fest, das ist Schockierend! – einen Nazi. Einen Anhänger einer menschenverachtenden Ideologie. Heute? Nun, das ist dann „eine umstrittene Geste“, ausgeführt von einer „umstrittenen Person“, die „umstrittene Ansichten“ vertritt. Ist der Himmel blau? Das ist eine „umstrittene Farbwahrnehmung“. Brennt Feuer heiß? „Eine umstrittene thermische Reaktion.“ Der umstrittene Fakt, dass Wasser nass ist, polarisiert die Gemüter.
Und der Faschist? Ach, der ist doch nur ein „umstrittener Verfechter autoritärer Gesellschaftsmodelle“. Plötzlich sind die Lager nicht mehr klar in Gut und Böse, in Richtig und Falsch getrennt, sondern in „umstritten“ und „noch nicht umstritten, aber das kommt noch“. Man könnte meinen, die Redaktionen dieser Welt haben einen geheimen „Umstritten-o-Mat“ installiert, der bei jeder klaren Aussage einen Alarm schrillen lässt und sofort eine Ersatzfloskel liefert, die selbst dem umstrittensten Anwalt ein müdes Lächeln entlockt.
Die Konsequenz dieser linguistischen Feigheit ist eine schleichende Erosion der Realität. Wenn alles „umstritten“ ist, was dann noch klar? Wenn ein offenkundiger Akt des Hasses nur noch eine „umstrittene“ Meinung darstellt, dann wird der Begriff „Kontroverse“ zum Witz. Die Debatte wird zur Farce, weil die Grundlage – die Benennung der Dinge, wie sie sind – bereits aufgegeben wurde. Man könnte fast meinen, es ist eine perfide Strategie, um das Publikum in eine tiefe Apathie zu stürzen, nach dem Motto: „Ist ja eh alles umstritten, da brauchen wir uns gar nicht mehr festlegen.“
Fazit: Schluss mit dem umstrittenen Unsinn!
Es ist höchste Zeit, dem Wort „umstritten“ seine Würde und seinen ursprünglichen Zweck zurückzugeben. Es sollte nur dann zum Einsatz kommen, wenn es wirklich zwei begründete Seiten einer Medaille gibt, nicht um die Quadratur des Kreises zu beschreiben oder um offenkundige Abscheulichkeiten salonfähig zu machen.
Nennen wir die Dinge wieder beim Namen, auch wenn es wehtut oder Anwälte zucken lässt. Ein Nazi ist ein Nazi. Ein Faschist ist ein Faschist. Und eine Hand, die zum Hitlergruß erhoben wird, ist keine „umstrittene Geste“, sondern das, was sie ist: Eine klare, eindeutige und verabscheuungswürdige Bekundung einer menschenfeindlichen Ideologie.
Bevor wir in einer Welt leben, in der selbst die umstrittene Tatsache, dass wir atmen, zur Diskussionsgrundlage wird, sollten wir uns darauf besinnen, dass Sprache ein mächtiges Werkzeug ist. Und wer dieses Werkzeug nur noch benutzt, um sich hinter einem verbalen Wattebausch zu verstecken, wird am Ende feststellen, dass der Wattebausch die Sicht so sehr vernebelt, dass man nicht mehr unterscheiden kann, was eigentlich umstritten ist und was einfach nur… Fakt. Oder eben Faschismus. Oder Nazi-Scheiße. Und das ist hoffentlich (noch) nicht umstritten.