Wenn Datenschutz zum Verbrechen wird
Spanien – Die katalanische Polizei hat ein neues Lieblingshobby entdeckt: Pixel-Profiling. „Jedes Mal, wenn wir ein Pixel sehen, denken wir, es könnte ein Drogendealer sein“ 1 , verkündet der Leiter der Anti-Drogen-Einheit der Mossos d’Esquadra mit einer Selbstverständlichkeit 2 , die einem die Sprache verschlägt. Erst die Hautfarbe und nun wird heute das Smartphone-Modell als Gefahrenpotential betrachtet – willkommen im Smartphone Profiling.
Der Grund für diese techno-paranoide Weltanschauung? GrapheneOS – ein Betriebssystem, das tatsächlich funktioniert, wie Datenschutz eigentlich gedacht war. Kriminelle nutzen es, um ihre Kommunikation zu verschlüsseln und Überwachung zu erschweren. Die logische Konsequenz für die Polizei: Alle Pixel-Nutzer müssen Verbrecher sein. Das ist ungefähr so, als würde man alle Autobesitzer verdächtigen, weil Bankräuber auch Fahrzeuge benutzen.
Die Ironie des Streisand-Effekts
Was hier passiert, ist ein Lehrbuchbeispiel für den Streisand-Effekt.3 Durch die polizeiliche Stigmatisierung von Pixel-Smartphones macht die katalanische Polizei unfreiwillig die beste Werbung für GrapheneOS, die man sich vorstellen kann. Die Entwickler des Betriebssystems melden sich empört zu Wort: „GrapheneOS ist gegen den Massenüberwachungspolizeistaat, den diese Leute allen aufzwingen wollen“ 4. Sie vermuten sogar eine staatlich geförderte Kampagne hinter den Vorwürfen und beklagen „Belästigungen“ ihrer Gemeinschaft.
Die „Polizei-Presse“ wird zur Anti-Werbung, die Anti-Werbung wird zum Verkaufsargument. Jeder Tech-Journalist, der über diese Geschichte schreibt, bewirbt automatisch GrapheneOS als das Betriebssystem, das sogar Polizisten Angst macht. Effektiver geht Marketing nicht.
Überwachungskapitalismus meets Staatsautorität
Das Perfide an dieser Geschichte ist die unheilige Allianz zwischen privatem Überwachungskapitalismus und staatlicher Kontrolle. Während Google mit seinen Pixel-Geräten und Stock-Android fleißig Daten sammelt, setzt die Polizei staatliche Malware ein, um diese Datensammlung zu ergänzen. Beide Seiten profitieren von der Überwachung – die einen kommerziell, die anderen repressiv.
Die katalanische Polizei nutzt mittlerweile Staatstrojaner, um GrapheneOS zu infiltrieren – mit mäßigem Erfolg. Das System rebootet automatisch alle 18 Stunden, wodurch die Spionagesoftware regelmäßig gelöscht wird. Das führt zu einem „technologischen Wettrüsten“, bei dem die Polizei immer ausgeklügeltere Überwachungstools kauft, während datenschutzbewusste Nutzer immer bessere Schutzmaßnahmen entwickeln.
Österreichs Überwachungsambitionen
Die Pixel-Paranoia ist kein isoliertes Phänomen. In Österreich plant die Regierung ab 2027 die Messenger-Überwachung 5 – euphemistisch als „Staatstrojaner“ bezeichnet 6 . Maximal 30 Fälle pro Jahr sollen überwacht werden – was für eine beruhigende Begrenzung! Als ob staatliche Überwachung durch Quantitätsbeschränkungen weniger problematisch würde und sich Cops, Innenministerien und Gerichte wirklich daran hielten.
Die österreichische Regierung will Malware auf Handys und Computer installieren 7 , um verschlüsselte Kommunikation zu überwachen. Privatunternehmen sollen dabei zur Mithilfe verpflichtet werden und 2,5 Millionen Euro jährlich für die Unterstützung der Überwachung aufbringen. Orwell hätte seine Freude an dieser öffentlich-privaten Überwachungspartnerschaft.
Die Spyware-Industrie boomt
Während die Polizei über GrapheneOS jammert, boomt die Überwachungsindustrie. Firmen wie Cellebrite 8 und NSO Group (Pegasus) verkaufen ihre Spionage-Tools an Regierungen weltweit. 12 EU-Staaten nutzen bereits Pegasus-Staatstrojaner 9 – mehr als die Hälfte der Mitgliedsländer. Die Spyware-Industrie hat einen 50-Prozent-Marktanteil bei forensischen Handy-Tools erreicht.
Technische Selbstverteidigung als Bürgerpflicht
Die Reaktion der GrapheneOS-Community zeigt, was passiert, wenn technische Selbstverteidigung zur Bürgerpflicht wird. Das Betriebssystem bietet Duress-Passwörter (Notlösch-Codes), automatische Reboots und Hardware-Sicherheitsfeatures, die selbst Staatstrojaner frustrieren. Es implementiert zufällige MAC-Adressen und gehärtete Sandboxes.
Besonders zynisch: Google verkauft die Hardware (Pixel), die dann mit datenschutzfreundlicher Software (GrapheneOS) ausgestattet wird, um Googles eigene Überwachung zu umgehen. Die Smartphone-Hersteller verdienen an beiden Seiten des Überwachungsgeschäfts. Auch das ist etwas das der Wunsch nach mehr Sicherheit mit sich bringt.
Demokratie-Verfall durch Überwachung
Was in Katalonien als Drogenfahndung daherkommt, ist ein Angriff auf die Demokratie. Wenn Datenschutz zum Verdachtsmoment wird, ist der Rechtsstaat bereits beschädigt. Das EU-Parlament hat den „illegalen Einsatz von Spähsoftware“ als „Gefahr für die Demokratie“ eingestuft und ein De-facto-Moratorium für EU-Länder gefordert, die Spyware missbrauchen.
Die Botschaft ist klar: Wer seine Privatsphäre schützt, macht sich verdächtig. Wer verschlüsselt kommuniziert, wird automatisch zum Sicherheitsrisiko erklärt. Wer sich gegen Überwachung wehrt, gilt als potentieller Terrorist. Dies ist die Logik des digitalen Autoritarismus.
Fazit: Resistance is not futile
Die Pixel-Paranoia der katalanischen Polizei ist mehr als eine Posse – sie ist ein Symptom für den Verfall demokratischer Normen im digitalen Zeitalter. Während Staatsorgane Datenschutz kriminalisieren, profitieren Konzerne und Überwachungsindustrie von der allgegenwärtigen Kontrolle.
Die GrapheneOS-Entwickler haben recht: Es geht um den „Massenüberwachungspolizeistaat“. Jeder Pixel-Nutzer in Katalonien wird zum politischen Statement. Jeder Download von GrapheneOS wird zum Akt des zivilen Ungehorsams. Jeder Reboot wird zum kleinen Sieg gegen den Überwachungsapparat.
Technische Selbstverteidigung ist zur Bürgerpflicht geworden. Wer seine Grundrechte behalten will, muss sie technisch durchsetzen. Die Alternative ist die vollständige Unterwerfung unter den digitalen Panoptikon-Staat, in dem bereits das Smartphone über Schuld oder Unschuld entscheidet.
Die Ironie bleibt: Während die Polizei GrapheneOS als Verbrecher-Tool verleumdet, macht sie gleichzeitig die beste Werbung dafür. Danke, Mossos d’Esquadra – ihr seid die erfolgreichsten Marketingagenten der Datenschutz-Bewegung.
Eine weitere Ironie, die vielleicht schon wem aufgefallen ist und der besonders heute Sinn ergibt: Wir versuchen möglichst täglich um 13:12 Uhr einen Artikel zu veröffentlichen.
- https://winfuture.de/news,151996.html ↩︎
- https://www.derstandard.de/story/3000000278495/katalanische-polizei-geht-gezielt-gegen-nutzer-von-pixel-smartphones-vor ↩︎
- https://de.wikipedia.org/wiki/Streisand-Effekt ↩︎
- https://grapheneos.social/@GrapheneOS/114784469162979608 ↩︎
- https://www.it-daily.net/shortnews/osterreich-messenger-uberwachung-2027 ↩︎
- https://futurezone.at/netzpolitik/messenger-ueberwachung-whatsapp-oesterreich-regierung-chat-staatstrojaner-oevp-spoe-neos-pegasus/403030634 ↩︎
- https://winfuture.de/news,150217.html ↩︎
- https://www.borncity.com/blog/2023/01/16/leak-der-phone-forensik-tools-von-cellebrite-und-msab/ ↩︎
- https://netzpolitik.org/2022/nso-group-zwoelf-eu-laender-nutzen-pegasus-staatstrojaner/ ↩︎