Wenn Bären, Welse, Kalmare und Servale uns von der Apokalypse ablenken
Erde: Während die Welt brennt, der Planet kocht und Konzerne unsere Zukunft als Verwertungsmasse betrachten, berichten deutsche Medien lieber über… einen Wels. Oder einen Problembär. Oder einen Serval, der durch irgendein Bundesland huscht, als würde er gleich auf ein linksalternatives Musikfestival zusteuern. Willkommen im Sommerloch – der medialen Spielwiese, auf der die Realität eine Pause macht und halbwegs gefährliches Wildtier-Content plötzlich relevanter erscheint als Klimakollaps, Wohnungsnot und Ausbeutung.
Operation: Ablenkung durch Tier
Jedes Jahr aufs Neue: Sobald die Parlamente Pause machen, die Politprominenz mit den Regierungsfliegern irgendwo zwischen Sylt und St. Tropez auf Tauchstation geht, taucht ER wieder auf – der Problembär. Oder sein spirituelles Äquivalent. Ein kalbsgroßer Wels, der angeblich in einem niederbayerischen See Rentner verschlingt. Ein Tintenfisch mit „intelligentem Verhalten“ irgendwo vor Helgoland. Der berüchtigte Berliner Waschbär mit dem fürchterlich diabolischen Blick. Oder – wenn’s richtig abgehen soll – ein Serval auf Kiez-Tour. Mann-o-Mann.
Tiere als Clickbait der Apokalypse
Natürlich sind diese Stories zuckersüß verpackt. Ein bisschen Drama, ein bisschen süßer Tierfaktor, ein bisschen angebliche Gefahr – fertig ist der Sommerloch-Cocktail, serviert von Journalisten, die offenbar kollektiv vergessen haben, dass Journalismus auch eine gesellschaftliche Funktion hat und nicht bloß Click-Zahlen generieren soll wie der Lidl-Jogginganzug auf der Bühne eines der letzten Linkin Park Konzerte oder generell einfach unter irgendwelchen Influencer-Posts.
Denn seien wir ehrlich: Die Regenwälder verschwinden, als wären sie Gewinner des Dschungelcamps. Die Ölkonzerne fahren Rekordgewinne ein, während wir uns überlegen, ob wir heizen oder essen wollen. Es gibt Dutzende Bürgerkriege, Asylunterkünfte brennen, die Zivilgesellschaft rutscht nach rechts wie auf einer CDU-Glatteis-Rhetorikspur. Aber gut – da draußen schwimmt ein Kalmar, der sich auffällig verhält. Klar. Viel wichtiger.
Und: Wer zu auffällig ist, wird vom Staat oder irgendeinem dahergelaufenen Jägermeister getötet. Das sollte uns zu denken geben, oder?
Der Zoo der Unterhaltung
Es ist schon bezeichnend, wenn ein Wels derzeit mehr mediale Aufmerksamkeit genießt als die Frage, wie der globale Süden eigentlich mit den Klimafolgen fertig werden soll, die der globale Norden verursacht hat. Aber hey – ein Wels ist halt gefährlich und greifbarer als 1,5 Grad mehr Durchschnittstemperatur. Und ein Wels, der Jogger*innen erschreckt (oh, wait) Badegäste anknabbert, ist nun mal ikonischer als ein systemisches Problem.
Und während RTL sich fragt, ob ein Serval “möglicherweise in Gefangenschaft ausgebrochen ist oder Teil eines illegalen Haustierhandels” war, unterschreiben im Hintergrund globale Agrarkonzerne munter Deals, bei denen Monokulturen erlaubt werden, die mehr Wasser benötigen als ein Kalmar in seinem gesamten Leben. Aber Hauptsache, wir haben auch eine Serval-Schlagzeile. Sonst nix los im Land. Außer vielleicht der Zusammenbruch des Sozialstaats.
Medienlandschaft: Im Streichelzoo gefangen
Statt die vierte Gewalt zu sein, ist ein Teil der Medienlandschaft zur vierten Kuschelzone geworden. Und wir, das Publikum? Frisst brav, was serviert wird. Ein wohldosierter Mix aus Tier und Taktik: eine Art Zuckerwatte fürs geschundene Gewissen.
Denn es fühlt sich einfach besser an, sich über einen Biber im Freibad zu echauffieren, als sich zu fragen, ob man wirklich in einem Wirtschaftssystem leben möchte, das sogar ein brennendes Kanada als „Standortchance“ begreift.
Wels wirklich wichtig wäre…
Währenddessen vertuschen Konzerne ihre Emissionen mit grünem Etikett, jugendliche Faschos organisieren Proteste gegen CSD-Veranstaltungen, und das soziale Netz wird so stark durchlöchert, dass es bald eher einem Fischernetz im Sommerbad ähnelt. Aber klar – lasst uns debattieren, ob der Wels jetzt “aggressives Verhalten” zeigt oder bloß misunderstood ist. Vielleicht war der bloß linksradikal und wollte das System fressen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Fazit: Der Bär ist nicht das Problem
Der Bär, der Kalmar, der Wels und der Serval – sie sind nicht das Problem. Sie SIND das Sommerloch. Aber dahinter gähnt ein bodenloser Abgrund aus politischer Apathie, medialer Ignoranz und systematischer Ablenkung von all dem, was wirklich wichtig wäre.
Vielleicht brauchen wir keinen Problembär – sondern ein Problembewusstsein. Und zwar eins, das über die nächste Tier-Clickbait-Schlagzeile hinausreicht.
Noch Fragen? Der Biber ruft. Vielleicht kann er uns wenigstens noch ein Floß bauen, wenn der Meeresspiegel steigt.