die unsichtbaren Skandale unseres „Sozialstaats“

Da stirbt ein Mensch in einer Obdachlosenunterkunft in Schleswig. Nicht im finsteren Winkel einer Großstadt, sondern in einer offiziellen Unterkunft, unter angeblich christlicher Obhut, getragen von der Diakonie, deren „Nächstenliebe“ und ethischer Anspruch im Leitbild stehen – aber offensichtlich nicht im Alltag der Betreuung. 1
Was bleibt? Ein fassungsloser Blick auf eine Gesellschaft, die Menschen zwar vorrübergehend Obdach bieten – und dann vergisst. Die Leiche liegt offenbar wochenlang 2 unbemerkt im Zimmer. Niemand hat es gemerkt. Keine regelmäßige Kontrolle, kein Kontakt, keine Fürsorge. Für einen Verband, der Diakonie heißt und den Dienst „im Geiste Christi“ predigt, ist das nicht nur ein gesellschaftliches oder verwaltungstechnisches, sondern ein moralisches Totalversagen.
Der Bürgermeister der Stadt Schleswig widerspricht der Vermutung, dass die Person wochenlang durch gelegen haben könnte. 3 Ich kenne den Mann von mehrern Veranstaltungen und möchte auch glauben, das er das wiedergibt von dem er „glaubt“, es sei so passiert. Am 2.Juni war der Mann, der kurz darauf in der Unterkunft verstarb anscheinend direkt im Rathaus und hatte eine Anfrage und laut Bürgermeister gab es „vermutlich“ zusätzlich einen Kontakt am 12. Juni beim Kreis. Dort solls ihm wohl noch gut gegangen sein. Dennoch, auch trotz einer Brandschutzbegehung auf dem Gelände Ende Juni, kann es durchaus sein, dass die Person dort schon tot war – Der Bürgermeister sagt, man habe da keinen Leichengeruch wahr genommen. Puh.
Die Reaktion auf das Systemversagen? Worthülsen und Ausreden
Die öffentliche Reaktion? Betroffenheitsfloskeln und diffuse Versprechen, „Personal aufstocken“ zu wollen. Die Verantwortlichen – von der Diakonie bis zur Stadtverwaltung – reichen sich die Verantwortung wie eine heiße Kartoffel weiter.
- Die Stadt Schleswig bestätigt, dass am 8. Juli 2025 ein Leichnam in der städtischen Obdachlosenunterkunft entdeckt wurde. Details? Fehlanzeige. Die Kriminalpolizei ermittelt und eine Obduktion wurde angeordnet – wie beruhigend, dass wenigstens das Protokoll funktioniert 4 .
- Die Stadt will nun „die Betreuung personell verstärken“. Das klingt nach Verbesserung, ist aber ein Schuldeingeständnis: Bisher war also zu wenig Personal da, um das grundlegendste Menschenrecht – das Recht auf Leben und Würde – praktisch abzusichern.
- Betroffene Bewohner*innen mussten umgehend ihre Räume verlassen, damit Reinigungsfirmen dem „Problem“ zu Leibe rücken können. Für die Verwaltung läuft das Geschäft weiter: Entrümpeln, reinigen, neu belegen. Für die Verstorbenen bleibt nicht mal eine saubere Erinnerung übrig.
Aber sein wir mal ehrlich, wenn man 0 Personal vor Ort hat, dann kann man locker das Personal verdoppeln oder vervierfachen. Bleibt ja auch bei 0.
Okay, das war nun sehr zynisch, aber ich bin wütend ob dieser ganzen beschissenen Situation.
Christliche Verantwortung? Meistens nur auf dem Papier
Die moralische Bankrotterklärung ist perfekt, wenn von Nächstenliebe zwar geredet, aber nicht gehandelt wird. Wer sich auf den Geist Christi beruft, sollte sich daran messen lassen, wie man mit den Schwächsten umgeht – und nicht daran, wie glatt die nächste Pressemitteilung formuliert ist 5 . Auch das Original aus Nazareth hätte vermutlich Kontrollgänge bevorzugt statt PR-Termine.
Berufliche Sorgfaltspflicht: Abgehakt in der Excel-Tabelle
Was tun die Sozialarbeiter*innen, die Träger, die Stadt? Offensichtlich: das Nötigste, am Reißbrett. Wer keinen festen Wohnsitz und keine Lobby hat, verschwindet eben auch schneller von der „To-Do-Liste“. „Systemische Überforderung“, so das Mantra. Doch wessen System ist das eigentlich? Eines, das Menschen sortiert, katalogisiert und abspeichert – und im Zweifel vergisst?
35 Kilo, dem Tod geweiht – der Skandal von Sylt
Sylt, die Insel des Reichtums und der Champagnerträume – und gleichzeitig Endstation des Versagens für die Schwächsten, die unsere Gesellschaft offiziell „schützt“. Der Fall der 93-jährigen Frau, die nach einem schweren Sturz und Krankenhausaufenthalt beinahe verhungert wäre 6 , weil niemand aus den sozialen Netzen mehr fähig war, hinzuschauen, hat alles, was es braucht, um als Mahnmal systemischer Kälte an den Strand gespült zu werden.
Verwaltet, vergessen, fast verhungert
Was ist passiert?
- Nach einem Unfall inklusive Beckenbruch wird sie nach der Behandlung im entfernten Husum aus dem Krankenhaus entlassen – die Obdachlosenhilfe der Gemeinde Sylt wird zwar vorab informiert, aber erhält am Telefon angeblich auch die Mär, die Seniorin könne sich wieder allein versorgen.
- Eine Aussage, die angesichts des tatsächlichen Zustands der Frau blanker Hohn ist: Nach Tagen des Alleinseins, hilflos im Bett, Mantel noch am Leib und die letzten Habseligkeiten um sich gescharrt, wiegt die 93-Jährige nur noch 35 Kilo. Sie wäre wohl verhungert und verdurstet, hätte die Leiterin der Sylter Tafel, zu der die Dame losen Kontakt hielt, sie nicht gefunden und Alarm geschlagen.
- Pastor und Tafel-Leiterin stimmen darin überein: Frau A. war bei ihrer Rückkehr in die Unterkunft vollkommen hilflos, sich selbst überlassen und dem Sterben näher als dem Leben. Ein weiterer offizieller Kommentar aus der Unterkunft? Fehlanzeige.
Behörden-Pingpong auf dem Rücken einer 93-Jährigen
Die Verantwortlichen spielen Bürokrat*innen-Ball:
- Der Leiter der Unterkunft? Schweigt sich aus – wie so oft, wenn es brenzlig wird.
- Die Obdachlosenhilfe behauptet, sie habe nach der Klinikentlassung geraten, wieder ins Krankenhaus zu gehen (statt zu helfen – wie pragmatisch). Gerade ältere Mitbürger tun sich bekanntlich schwer die Entscheidung zu treffen ins Krankenhaus zu gehen, man will ja niemanden zur Last fallen.
- Die Verwaltung verkauft das Desaster als Folge misslicher Umstände und verweist auf das „Selbstverschulden“: Die Dame habe ja freiwillig obdachlos gelebt.
Diese Zustände sind keine Ausreißer
Schleswig und Sylt sind kein Einzelfall. Tote, die in ordnungsrechtlicher Unterbringung oder sogenannten Schutzcontainern erst Wochen später entdeckt werden, sind bundesweit dokumentiert. Von Harislee 7 bis zum Bodensee: Immer wieder verschwindet das Leben still und leise aus staatlicher Verantwortung. Die jeweiligen Träger und Behörden reagieren jedes Mal erschüttert – bis zur nächsten Kolumne oder Sondersitzung, die exakt nichts löst.
Systemische Kälte in Hochglanz verpackt
Ob es an fehlendem Personal, kaputten Strukturen, mangelnder Kontrolle oder schlicht zu wenig Empathie liegt – das Ergebnis bleibt dasselbe: Unsichtbare Tote, wegverwaltet bis zum Verwesungsgeruch. Und hinterher diskutiert man lieber übers Personalbudget als über Menschenrechte. Wer keine Familie, keine Wohnung, keine Versicherung hat, ist in diesem System eben vor allem eines: Unsichtbar.
Fazit: Ein menschenverachtendes System – abschaffen oder radikal verändern!
Dieses System schützt nicht – es verwaltet, ignoriert und verschweigt. Es wird solange Tote produzieren, wie grundlegende politische und soziale Veränderungen ausbleiben. Und alle quaken irgendetwas von Reform, bis die nächste Leiche gefunden wird. Das ist nicht nur peinlich, sondern menschenverachtend. Das reicht.
Dieses System kann und muss anders – oder es kann weg!
- https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/toter-in-schleswiger-obdachlosenunterkunft-kripo-ermittelt,regionflensburgnews-308.html ↩︎
- https://archive.is/42R4M ↩︎
- https://www.sat1regional.de/raetsel-um-toten-warum-starb-ein-obdachloser-im-schleswiger-wohnheim/ ↩︎
- https://www.borkenerzeitung.de/welt/in-ausland/panorama/Keine-Hinweise-auf-Verbrechen-nach-Leichenfund-in-Unterkunft-650612.html ↩︎
- https://www.n-tv.de/regionales/hamburg-und-schleswig-holstein/Diakonie-beklagt-Situation-in-Notunterkuenften-fuer-Obdachlose-article25477284.html ↩︎
- https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Fast-verhungert-auf-Sylt-wie-konnte-passieren-,obdachlossylt100.html ↩︎
- Habs nur des Reimes wegen verwendet, meiner Recherche nach, gab es keinen vergleichbaren Fall in Harislee ↩︎
@redaktion
Könnt ihr mir einen Gefallen tun und den Schreibfehler korrigieren: „schon tot war“.
Die Deutschlehrerin in mir weint sonst. Über Kommafehler gucke ich schon weg 🙂
Remote-Antwort
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Uppsi.
Der ist uns leider entgangen.
Ganz lieben Dank für den Hinweis und wir hoffen, dass die Deutschlehrerin heute auch trotz dem schweren Thema im Artikel zur Ruhe kommt.
@redaktion
Danke! (Ich bin ja nicht mehr in dem Job. Da muss meine innere Deutschlehrerin auch mal chillen 🙂 )
Remote-Antwort
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Sehr gerne.
Und zu den vielen Kommafehlern:
Das haben auch schon meine Lehrer*innen an mir bemängelt.
Zum einen weil ich Bandwurmsätze liebe und zum anderen, weil ich einfach manchmal den Überblick verliere, wo ich schon etwas geschlossen habe oder nicht.
Ich bekomme das nur schwer weg.
Und wir sind ja hier keine echten Journalist*innen, sondern eher Idealist*innen.
Ich versuche mich aber zu bemühen.
(Er gab stets sein Bestes, oder so.)
/rh